Samstag, 15.05.2010 – Rund um die Grenzkammstraße

Auch heute klingelt der Wecker um halb 8. Flugs aus dem Fenster gesehen: Es ist zumindest trocken und die Wolkendecke hat zwei große Löcher bekommen, wo blauer Himmel durchscheint. Beim Frühstück planen wir erwartungsvoll den Tag. Die Grenzkammstraße soll es heute sein. Als wir unsere Sachen aus dem Keller holen, müssen wir feststellen, dass die Schuhe noch ordentlich nass sind. Wir hätten sie wohl nicht am Boden, sondern etwas höher platzieren sollen, allerdings war das Platzangebot durch eine ebenfalls hier untergebrachte Gruppe von Radlern schon recht ausgeschöpft. Na gut, dann müssen halt mehrere Schichten Socken die Feuchtigkeit von der Haut fern halten. Als wir das Motorrad aufpacken, sehen uns an die 40 Radleraugen neugierig zu, doch die XT springt brav auf den ersten Kick an. Einen kurzen Abstecher zur Tankstelle, dann fahren wir den Berg hoch nach Livek. Diese Straße kann mit manchem Alpenpass mithalten und die Tatsache, dass uns bis nach Livek nur ein einziges Fahrzeug entgegen kommt, macht sie uns noch sympathischer. In Livek halten wir uns links und haben bald den Kamm erreicht. Rechter Hand haben wir einen wunderbaren Blick nach Italien. Sanft geschwungene bewaldete Hügel, auf denen wie Schiffe in einer hohen Dünung kleine Burgen, Schlösser und Kirchen erbaut wurden. Ein paar Kurven später öffnet sich der Blick linker Hand ins Soca-Tal und auf die gegenüberliegende Bergwelt. Ein paar Straßenarbeiter sind dabei, die Hinterlassenschaften des Winters zu beseitigen und wenige Kurven später sehen wir linker Hand die ersten verfallenen Stellungen. Dann erreichen wir das Freilicht-Museum der Insonzo-Linie. Hier halten wir und sehen uns die Stellunge an. Unbeschreiblich, was hier die Menschen durchmachen mussten. In einem Jahrelangen Stellungskrieg wurden hier 12 Schlachten geführt, viele tausend Menschen fanden dabei den Tod. Bedrückend eng, kalt und nass sind die Schützengräben, die Bunker und die unterirdischen in den Fels gemeißelten Räume. Und wir ärgern uns über feuchte Schuhe. Ich kann einen Besuch dieses Ortes nur empfehlen, man sollte eine Taschelampe dabei haben und ein wenig Zeit, um diesen Wahnsinn auf sich wirken lassen zu können.
Weiter fahren wir über die Grenzkammstraße, wo uns ein kalter Wind um die Ohren weht. Noch ist nicht die ganze Straße asphaltiert, wir finden ein letztes Stück Schotterpiste und schlagen den Weg nach Canal ein. Dort gönnen wir uns einen Latte Macciato und ein Stück Kuchen, bevor wir uns weiter auf den Weg nach Südosten machen, an der rechten Seite der Soca entlang. Erst passieren wir das große Kunststoffwerk, dann och ein kleineres Industriegebiet, bevor wir dann eine Straße finden, die uns den Berg hinauf in Richtung Smartno führt. Irgendwo sehe ich ein Hinweisschild zu einer Burg, so nehme ich nicht den geplanten Weg nach Novo Gorica, sondern halte mich in Richtung Dobrovo. Was für ein Glücksgriff. Vor uns breitet sich ein Land aus, was der Toskana ähnelt. Tausende flache Hügel, die meisten mit Weinreben bepflanzt, hunderte kleiner Dörfer, so weit das Auge reicht. Wir genießen diesen Anblick, während wir auf der XT in sanften Kurven schwingend in das Land eintauchen. Kurz nach Medana fahren wir nach Italien, genießen die leeren Grenzstationen und das problemlose hin und her zwischen den Ländern. Wir folgen einem Wegweiser nach San Floriano Del Collio (die besten Entscheidungen trifft der Bauch 😉 und erreichen so eines der bekanntesten Weinbaugebiete dieser Region. Elisabeth möchte gern eine Flasche Wein von da mitnehmen, ich finde eher zufällig einen Laden, der das gesamte Sortiment der hier ansässigen Weinbauern führt. Bei 400 Einwohnern gibt es immerhin 20 Marken. Vor allem der Sauvignon ist so berühmt, dass er in die ganze Welt exportiert wird. Das besondere sind die kleinen Rebstöcke, die nur ein fünftel der Ernte bringen wie in anderen Gebieten, erzählt mir der Verkäufer. Ich entscheide mich für eine Flasche, der Verkäufer lässt mir einen Euro nach und ich verstaue die wertvolle Fracht in der Regenhose im Koffer, die heute mal nicht zur Abwehr der Feuchtigkeit von oben, sondern zum Schutz des edlen Tropfens eingesetzt wird.
Weiter geht es in Richtung Slowenien, über die Isonzo (wie die Soca hier genannt wird), durch die Innenstadt von Gorica nach Novo Gorica und somit wieder auf slowenischen Boden. Hier finden wir einen Hinweis auf die höchste Steinbogenbrücke der Welt. Ich wäre fast vorbei gefahren, Elisabeth hat sie noch entdeckt und so halten wir an und bewundern das Bauwerk, das um die Jahrhundertwende des 20. Jahrunderts erbaut wurde und heute noch immer eine historische Dampflok über die Fluten der Soca trägt.
Auf der viel befahrenen 103 fahren wir zurück nach Canal, wo ich mich rechts halte um die Hauptstraße zu meiden. Einige Kilometer später durchfahren wir eine Ortschaft und finden einen Hinweis auf einen Meteoriten. Diesem folgen wir erstmal, drehen dann aber doch um, als der Wegweiser auf einen schmalen Fußweg zeigt mit der Entfernungsangabe 30 Min.
An Levpa und Kal vorbei schwingen wir uns bergauf durch Felder bevor wir in einen Wald eintauchen, der aus Buchen und lichtem Unterholz besteht. Fast märchenhaft schön, die bemoosten Wurzeln, das besondere Grün und die kleine gewundene Straße. Einen Halt legen wir ein, als wir eine Höhle entdecken, ein eingebrochener Hohlraum, wie es hier im Karstgebirge tausende gibt. Gut 25m kann ich hinabsehen, das Gestein und der Waldboden ist glitschig, weshalb ich es bei einem vorsichtigem Blick belasse.
Weiter geht es von nun an bergab. Durch wals und an Feldern vorbei, steile Almen, zwischendrin immer mal wieder ein einzelnes Gehöft oder ein kleines Dorf. Über Most na Soci führt uns der Weg auf die 103, aber nur, um diese kurze Zeit später wieder in Richtung Tolmin zu verlassen. Auf die Dante-Höhle haben wir es abgesehen, die wir vorgestern aufgrund des Regens und der fortgeschrittenen Zeit ausgelassen haben. Heute fahren wir am Kassenhäuschen vorbei und über die Teufelsbrücke, deren Bohlen unter den Rädern der XT klappern. An der Dante-Höhle parken wir das Motorrad und wagen uns ein Stück weit ins Innere der Höhle vor. Glitschig und naß der Höhlenboden, der Hinweis, man sollte die Höhle nur mit einem Führer begehen ist gerechtfertigt, so tasten wir uns wieder hinaus und fahren mit dem Motorrad weiter bergauf. Die Straße ist hier so schmal, dass ein Auto und ein Motorrad sich nicht während der Fahrt begegnen können, linker Hand geht es an die 100 Meter tief in die Schlucht, während man auf der rechten Seite an der Felswand entlang fährt. So taste ich mich vorsichtig um die Kurven, dass die Slowenen, zumindest was das Autofahren betrifft, italienisches Blut in den Adern haben, durften wir schon mehrfach feststellen.
In Na Kritzu dann meinen wir, das Ende des Weges erreicht zu haben (später sehen wir in der Karte dass es wohl noch weiter gegangen wäre). So drehen wir um und rätseln darüber, weshalb hier oben am Ende der Welt von den 6 Häusern 5 dabei sind, die Betten an Gäste vermieten.
Doch die Abfahrt braucht die volle Konzentration, so dass der Gedanke nicht fertig gedacht werden kann. An der Dante-Höhle steht eine kleine Gruppe mit Kletterzeug, die wollen da wohl rein. An der Teufelsbrücke noch ein letzter Fotostop, dann nehmen wir von Zatolmin den Weg nach Dolje und weiter nach Volarje. In Kamno biege ich rechts ab, weil ich auf der Suche bin nach dem Ausstieg des Klettersteiges, den ich letztes Jahr mit der DR abgesteigen bin. In Vrsno halte ich mich links und werde letztendlich in Smast fündig. Erkannt habe ich die Stelle an dem Drahtseil eines Lastenaufzuges. Das war damals meine Hoffnung, wenn ich die DR nicht runter bekomme. Da uns mittlerweile aber doch ein wenig fröstelt, bleiben wir nicht lange stehen, sondern fahren weiter nach Kobarid über die Napoleonbrücke und zur Unterkunt nach Idrsko. Hier hilft die Wärmekabine und eine heiße Dusche, das Wohlbefinden wieder herzustellen. So können wir uns sogar noch mal aufraffen und nach Kobarid fahren, wo wir uns das Gebeinhaus ansehen. Dieses liegt auf einem Hügel über Kobarid,  ein kleines Plateau, von dem zwischen Steinarkaden Treppen zu einzelnen Terrassen führen, die im Achteck angeordnet sind und nach oben pyramidenförmig zulaufen. Auf zwei Terrassen ruhen in einzelnen Nischen die sterblichen Überreste der gefallenen italienischen Soldaten. Sie sind mit Steinplatten aus Marmor verschlossen, in denen Name, Rang und eventuelle Verdienstorden eines jeden gefallenen Soldaten eingemeißelt sind. Auch hier ist es wieder bedrückend zu lesen, wie viele junge Menschen sinnlos ihr Leben lassen mussten. Die nächste schwarze Wolke ist schon im Anzug und pünktlich mit den ersten Tropfen erreichen wir die Unterkunft.
Das leckere Abendessen rundet den Tag noch ab, der Besuch des Beinhauses lässt mich noch lange über den Wahnsinn der Kriege nachdenken, bevor mich der Schlaf übermannt.