Montag, 05.05.2014 Auf nach Brebu Nou

Heute ist es Zeit, die Koffen zu packen und ein wenig weiter zu reisen. Das tun wir auch gleich nach dem Frühstück. Die Motorräder haben wir gestern schon aufgeladen, so dass es mit dem Einladen der Reisetaschen getan ist. Das Wetter hier ist bewölkt, aber trocken.
Wir fahren nach Hateg, dann wieder den gleichen Weg nach Caransebes, den wir auch schon auf der Herfahrt genutzt haben. Das Hochwasser ist noch immer nicht ganz abgeklungen. Links von uns die Bergkette, die heute eher scheu zu uns herübersieht und die Gipfel in eine Wolkenwand verhüllt. Offenbar schaffen es die schweren Wolken nicht über die Karpaten und erleichtern sich hier, um an Höhe zu gewinnen.

Kaum sind wir bei Bautar über den Kamm, schon lacht uns weißblauer Himmel und die Sonne entgegen. Der Motorradfahrer-Optimismus funktioniert bei Jörg ebenso wie bei mir. Mit etwas Glück hat es in Caras-Severin nicht so viel geregnet und wir können uneingeschränkt fahren. Vor Caransebes überholen wir einen LKW. Auf der Ladefläche stehen 4 Pferde quer zur Fahrrichtung, dahinter ein Bauwagen an der Hängerkupplung. Wäre bei uns sicher ein Grund für die Polizei, die rote Kelle zu heben.

In Caransebes nehme ich nicht die neue Umgehung, sondern fahre durch den Ort, um das Auto zu tanken und den Reservekanister zu füllen. Mein Mittagessen besteht heute aus einem Sandwich von der Tanke. Wir lassen Caransebes hinter uns und gleich wird unser Optimismus ein wenig getrübt. Links und rechts der Straße stehen große Wasserflächen in den Wiesen und auch die Timis führt braunes Wasser und ist ziemlich angeschwollen.

Als wir Slatina Timis durchfahren, kommt uns Johny entgegen. Ich winke, er erkennt uns gleich und kommt auf uns zu: I’m glad to see You, begrüßt er uns und läd uns ein, wann immer wir Zeit haben, einmal kurz vorbei zu schauen. Bis dato ahnen wir nich nicht, dass wir uns bald wiedersehen.

Der Weg hoch nach Brebu Nou ist ein Genuß – zumindest, wenn man ihn mit der Tortour früherer Zeiten vergleicht, als er sogar von hartgesottenen Endurofahrern lieber umfahren wurde. Nur noch an 3 kurzen Stellen fehlt die Asphaltschicht, entsprechend schnell kommen wir voran.

In Brebu Nou angekommen, sagen wir erstmal Hallo, belegen unser Zimmer und beginnen dann damit, die Motorräder abzuladen. Zwei weitere Enduristen kommen an, murmeln etwas davon, dass sie einen Freund bergen müssen, tauschen die Motorräder gegen einen Transporter und fahren wieder davon.

Wir setzen uns in den Speisesaal, bekommen die Vignetten sowie das Kartenmaterial und beginnen gleich damit, diese zu studieren. Heute ist noch eine kurze Einstiegstour geplant, das Wetter dazu ist prima.
Die Jungs von vorhin kommen herein und fragen, ob jemand ein wenig Rumänisch spricht. Ich frage worum es geht. Der Kollege, den sie gerade abgeholt haben ist mit dem Motorrad gestürzt und hat sich dabei eine Verletzung an der Schulter zugezogen. Nun wissen sie nicht wohin und können sich nicht verständigen. Hier kann ich bei mehreren Problemen helfen. Ich biete an, ihn zum Arzt zu bringen. Jörg will auch mit, so baue ich die Rückbank noch schnell um, bevor ich Henry – so heißt unser Fahrgast – auf den Beifahrersitz bugsiere. Anhand der Haltung und dem Schmerzbild diagostizieren wir eine ausgekugelte Schulter oder einen Schlüsselbeinbruch. Näheres kann man nicht erkennen, denn Henry hat seine Endurojacke noch an. Ich fahre los nach Slatina Timis und hoffe, dass Johny noch da ist und einen Blick darauf werfen kann. Die wenigen unasphaltierten Stellen durchfahre ich so langsam wie müglich. Trotzdem gibt das Sportfahrwerk die Stöße in den Fahrgastraum weiter, was bei Henry ein Stöhnen auslöst.
Dan sind wir vor dem ADAMS angekommen. Ich gehe hinein und rufe nach Johny. Der wischt gerade einen der Behandlungsräume feucht durch. Ich frage ihn, ob er sich die Schulter mal ansehen mag oder ob ich gleich ins Krankenhaus fahren soll. Selbstverständlich kommt er mit raus ans Auto und tastet die Schulter ab. Anhand des Schmerzbildes tippt auch er auf eine Fraktur und meint, es sollte auf jeden Fall geröngt werden. Dies bedeutet, dass wir weiterfahren nach Caransebes, denn ein Röntgengerät gibt es im ADAMS nicht.

Über die E70 ist das kein Problem, knappe 15 Minuten später sind wir da. Der Pförtner zieht das Tor auf und schickt uns zur Notaufnahme, ich soll dann aber gleich wieder zurückkommen und das Auto draußen parken. Das tue ich auch, bevor ich Jörg und Henry in die Notaufnahme folge.
Hier ist allerhand los, Caransebes ist ja auch nicht klein. Dennoch dauert es nicht lange, bis Henry in ein Behandlungszimmer gebeten wird, wo wir ihm Jacke und Hemd ausziehen und er angeschaut wird. Viele medizinische Vokabeln gehören noch nicht zu meinem Rumänischwortschatz, trotzdem bin ich quasi der Einäugige unter den Blinden und im Nu als Dolmetscher eingespannt.
Im Prinzip kommt man zum gleichen Ergebnis, es muss geröngt werden. In ein großes Buch wird die Patientanaufnahme dokumentiert. Da aus der Krankenkarte die Adresse und das Alter nicht hervorgeht, frage ich das bei Henry ab und schreibe es in das Buch. Der Arzt steht dazu auf und bittet mich, mich an den Schreibtisch zu setzen. Die Daten der Krankenkarte werden nicht aufgenommen. Dann gibt es noch eine Schmerzspritze, bevor wir in den ‚Salon‘ gebeten werden, um auf das Röntgen zu warten.

Es gibt zwei von diesen Salons. Im hinteren davon sind drei Betten, auf dem ersten davon liegt ein Mensch komplett angezogen in eine große Lederjacke gehüllt. Wir sind uns nicht ganz sicher ob er noch lebt, denn nach einem kurzen Blick in den Raum bittet uns der Arzt in den zweiten Salon.
Hier liegt eine sehr alte, ausgemergelte Frau komplett angezogen mit Kopftuch im hinteren Bett, neben dem vorderen Bett sitzt ein Mann und Henry bekommt das mittlere Bett zugewiesen.
Kurze Zeit später wird noch eine Frau im Krankenstuhl hineingeschoben.

Mehrfach kommen die Ärzte vorbei und entschuldigen sich, dass es noch etwas dauert, es sind noch zwei Kinder beim Röntgen, dann kommt Henry dran. Ich werde auch ein paarmal gefragt, ob er Schmerzen hat oder ob sie ihm noch eine Spritze geben sollen, was Henry jedoch verneint.

Wir haben viel Zeit, ich schaue ein wenig herum. Viele Leute stehen auf dem Gang und warten auf ihre Behandlung. Eine Art Wartezimmer am Eingang sitzt enenso voll. Der Mensch im hinteren Salon dreht sich um und entpuppt sich als männlicher Roma. Das Mobiliar ist sehr antiquiert, der Fußboden abgewetzt. Der Behandlungsstuhl setzt mir den Namen Albert Schweizer in den Kopf. Der könnte auch schon an so einem Gerät gestanden haben. In einer Glasvitrine stehen 2 Liter Limo und Colaflaschen, die mit irgendwelchen Flüssigkeiten gefüllt und mit einem Pflaster beklebt und beschriftet sind. Das Waschbecken in den Salons würde ich in die 60er Jahre datieren.

Eine Schwester kommt mit einem Krankenstuhl, um Henry zum Röntgen abzuholen. Dieser bittet mich, mitzukommen. Ich bin offenbar der Strohhalm in der fremden Welt. Jörg hält derweil die Klamotten von Henry und die Stellung in der Notaufnahme.
Es geht einen Gang entlang, dann in einen Aufzug. Zwei graue Stahltüren mit 2Euro großen Fensterchen drin öffnen sich, ein Mann, der den Aufzug bedient, kommt heraus. Auch andere wollen mitfahren. Die Schwester bittet diese, zuerst sie mit dem Stuhl reinzulassen, dann komme ich und nich soviel, wie Platz haben. Die Anderen müssen warten.
Der Aufzugwärter schließt die Tür und drückt den Knopf. Eine Tür an der Fahrgastkabine selber gibt es nicht. Hier sieht man die Wand vorübergleiten.
Weiter het es durch einen Kellergang, in dem links und rechts allerhand ausgemustertes steht. Wir biegen rechts ab und erreichen den Wartebereich für das Röntgen. Während die Anderen draußen warten müssen, wird Henry in den Röntgenraum geschoben. Ich bleibe auch draußen. Neben mir schweißt ein Klempner gerade mit dem Autogenschweißgerät einen Bogen an ein Eisenrohr. Offenbar wird hier umgebaut, denn eine Neurologische Abteilung im gleichen Gang schaut so aus, wie man das in Deutschland erwarten würde.

Henry wird wieder herausgefahren und im Kellergang geparkt. Er bittet mich, ein Bild von ihm zu machen, wie er da im Unterhemd zwischen dem ausrangierten Mobilar sitzt. Gerade als ich den Auslöser am Handy drücke, huscht eine hübsche junge Frau in einer Art grünem Bademantel vorbei und verschwindet durch eine Tür in einen stockdunklen Raum. Wenig später kommt sie wieder heraus und spricht mich in perfektem Englisch an, dass dies hier nicht der Normalzustand ist, sondern gerade umgebaut wird und das ganze recht ‚horrible‘ ist.
Ich sage ihr, dass sie sich keine Sorgen machen soll. Wichtiger als die Optik ist die Hilfe die man bekommt und da können wir uns wirklich nicht beklagen. Als sie wiederkommt und in den Raum huscht, wird mir klar: Das ist die Dunkelkammer, wo die Röntgenbilder entwickelt werden. Als sie wieder herausgeschlüpft kommt frage ich das und sie bejaht.

Als die Bilder fertig sind, geht es zurück zur Notaufnahme. Obwohl sich die Schwester recht abmüht, darf ich das Schieben nicht übernehmen. Der selbe alte Aufzug, dann wieder den Gang noch vorne und wieder warten. Derweil hole ich für Henry ein Getränk aus einem Automaten.
Wenig später bittet man uns wieder in den Behandlungsraum, wo das Röntgenbild im Betrachter hängt. Ich kann keinen Bruch erkennen und als ich den Arzt frage, meint auch er ’nu ruptie‘ – kein Bruch. Er gibt mir zu verstehen, dass von den Knochen her alles in Ordnung ist und er den Chirugen ruft, der sich das ansehen soll.
Dieser kommt in Gestalt eines etwas älteren, graumelierten Herrn, der sicher nicht allzu viel jünger ist als der 64jährige Henry. Er fragt wie es passiert ist, wo und wann. Ein wenig witzelt er über den ‚alten‘ Henry, der Motorrad fährt. Dabei blickt er sehr sorgfältig auf das Röntgenbild. Anschließend tastet er den Arm ab, prüft, wo der Schmerzpunkt sitzt und kommt zu dem Ergebnis, dass entweder das Gelenk ausgekugelt war und sich wieder selber eingerenkt hat oder dass es sich um eine heftige Zerrung handelt – vom Röntgenbild her ist alles ohne Befund.
Er ordnet an, dass der Arm 7 Tage stillgelegt werden muss und beauftragt den jungen Arzt, dies auch gleich zu machen. Der wickelt erst eine weiße Binde um Arm und Oberkörper – der Chef gibt immer wieder Anweisungen, wie er die Bilne führen soll. Dann kommt er mit einer blauen, elastischen Binde und wickelt die obendrüber.

Ich frage auf Anweisung von Henry, ob er noch Schmerzmittel haben kann. Der Arzt schreibt ein Rezept und drückt es mir zusammen mit dem Röntgenbild in die Hand. Dann verabschiedet er uns und wünscht Henry gute Besserung.

Als Fazit kann ich sagen, dass die Behandlung sehr zuvorkommend und 1a war. Ich denke, wir wurden sogar vorgezogen. Wir haben nichts bezahlt, die Krankenkartendaten wurden auch nicht aufgenommen. In das Aufnahmebuch habe ich die Adresse geschrieben, mal sehen, ob noch was kommt.
Henry sagte: Ich bin in einem Zustand, wo mir egal ist, wie es hier aussieht, wenn ich geholfen bekomme. Und das hat super funktioniert, ich hatte jeden Moment den Eindruck, die haben etwas auf dem Kasten!

Bei Pförtner frage ich nach der nächsten Apotheke. Der versucht es mit mit Handzeichen zu erklären, bis ihn ein zweiter Mann darauf hinweist, dass ich in rumänisch gefragt habe. Er erklärt es mit mit Worten und fragt dann, woher ich bin. Für einen Deutschen spreche ich sehr gut rumänisch, meint er – ich bin da anderer Meinung. Ein dritter Mann kommt hinzu, der ein wenig deutsch kann – so bekomme ich die Wegbeschreibung noch ein drittes Mal in meiner Sprache. Wäre gar nicht so schlimm – 300m geradeaus, schon bin ich da.
Die Apothekerin nimmt das Rezept, holt die zwei Medikamente, überträgt vom Rezept wie oft wleche Tabletten genommen werden sollen und händigt mir diese – samt Rezept – wieder aus. Bezahlen tue ich dafür 15 Lei – keine 4 Euro.

Jörg sagt den Freunden von Henry telefonisch Bescheid, ich steuere derweil den Rückweg an. In Brebu Nou werden wir empfangen wie Helden, während Henry sich dem Spott seiner Kumpels ausgesetzt sieht.

Obwohl wir einige Stunden unterwegs waren, wollen wir noch einen kleine Tour fahren. Ruckzuck sind die XT’s vorbereitet und die Enduroklamotten angezogen. Wir fahren nach Wolfsberg und dann in einem weiten Bogen  einmal um Brebu Nou herum. Die Wege sind ziemlich aufgeweicht, manche Pfützen testen wir lieber nicht auf deren Tiefe, suchen uns lieber einen Weg außenherum.

Jörgs XT fängt an zu stottern, der Vergaser läuft über. Das kommt schon mal vor, wir wissen, wie man sich hilft. Leider hilft es diesmal nicht auf Dauer. Seltsam ist, dass meine alte Lady wenig später das gleiche Verhalten zeigt, von ihr kenne ich so etwas überhaupt nicht.
Wir kommen dennoch wohlbehalten zurück und genießen wenig später ein leckeres Abendessen.

Und natürlich genießen wir zwei IT-Techniker, dass wir nach 4 Tagen Abstinenz endlich wieder ein WLAN zur Verfügung und damit auch wieder uneingeschränkten Kontakt nach Hause haben.

Tracklog 2014_05_05
Gesamtstrecke: 33 km